Als Zimmermann und Holzliebhaber gehört ein Schreinerwinkel zu meiner Standartausrüstung. Dieses Messwerkzeug nutze ich sowohl für den Abbund großer Dächer oder für die Bearbeitung kleinerer Möbel-, Fenster- und Tür-Projekte. Leider ist Schreinerwinkel oder Tischlerwinkel nicht gleich Tischlerwinkel. Es gibt so viele Produkte die Genauigkeit versprechen und am Ende Schund-Produkte verkaufen.
In diesem Artikel gehe ich auf die Besonderheiten dieses Messinstruments ein. Weißt du zum Beispiel warum man einen Winkel trocken lagern sollte? Darauf gehe ich ebenfalls ein, aber zunächst einige allgemeine Punkte zu diesem Werkzeug.
Tischlerwinkel oder Schreinerwinkel
Welcher Ausdruck ist jetzt der richtige? Auf den Punkt gebracht: beide! Sowohl Tischler als auch Schreiner sind im deutschen Sprachgebrauch üblich und deswegen sind beide Varianten möglich. Bei uns im Süden Deutschlands ist eher das Wort „Schreinerwinkel“ bekannt, weshalb ich nachfolgend hauptsächlich dieses Wort nutzen werde.
Die Qualität
Leider hatte ich schon nagelneue Winkel in der Hand die eine Differenz von 2mm hatten und das bei einer Schenkellänge von 250mm. Das ist für jedes Projekt ein absolutes NoGo und es gehört eigentlich verboten solche Produkte zu verkaufen. Ich empfehle aus dem Grund jeden Winkel vor dem Kauf zu überprüfen. Falls das nicht geht, weil du zum Beispiel Online ein Produkt bestellt hast, dann empfehle ich dir auf das Rückgaberecht zu achten. Amazon hat das zum Beispiel. Falls der Winkel nichts taugt, kannst du es also bequem zurückschicken.
Wusstest du schon?
Schon Euklid definierte und nutzte den rechten Winkel. In seinem Werk Die Elemente schrieb er:
„Wenn eine gerade Linie, auf eine gerade Linie gestellt, einander gleiche Nebenwinkel bildet, dann ist jeder der gleichen Nebenwinkel ein Rechter“
– Euklid: Die Elemente: I.10
Darf ein Schreinerwinkel Ungenauigkeiten aufweisen? Das ist in Deutschland nirgends genormt bzw. festgelegt. Aber der Hersteller sollte eine Abweichung des rechten Winkels angeben. Das machen viele Hersteller. Zum Beispiel die Sheffielder Manufaktur CROWN. Dieser Hersteller produziert Winkel nach dem British Standard. Der British Standard 3322 legt fest wie groß eine Abweichung sein darf und besagt das auf 1cm der Stahlzunge eine maximale Abweichung von 0,01mm auftreten darf. Bei einem Winkel mit einer Stahlzunge der Länge von 25cm sind das also maximal 0,2mm (gemessen von der Innenkante) die ein Winkel haben darf.
Ein anderer Hersteller ist zum Beispiel ECE. Diese produzieren Präzisionswinkel und garantieren eine Genauigkeit von +- 0,1mm auf die Metallzunge. Das sind wirklich Präzisionswerkzeuge. Andere Modelle aus der ECE Reihe bestehen teilweise oder komplett aus Weissbuche.
Dictum, ein weiterer Hersteller, garantiert eine Genauigkeit von 0,03mm auf 100mm. Das entspricht in etwa der Vorgabe des British Standard. Dictum stellt zwat selbst auch Winkel her, aber in der Produktpalette finden sich auch WInkel von Ulmia. Ulmia ist ja als großer Werkbank Hersteller bekannt so wie meine Werkbank. Ulmia produziert aber auch sehr präzise Schreinerwinkel die extrem genau sind: der Hersteller garantiert eine Genauigkeit von 0,01mm auf 100mm.
Der letzte Hersteller in meiner Aufzählung ist das österreichische Unternehmen Sola. Sola stellt verschieden Modelle in den unterschiedlichsten Ausführungen her. Ob Edelstahl- Gebläute- oder eine beschichtete Zunge: man hat die Qual der Wahl. Und auch bei den Griffen kann man einige Kombinationen aussuchen: Kunststoff (ABS), Buche-Messing, Alu-Druckguss oder Alu eloxiert. Leider gibt der Hersteller keine genauen Daten wie genau die WInkel wirklich sind (zumindest habe ich nichts gefunden). Aber Sola gibt an, dass schon bei der Produktion die Winkel auf Genauigkeit getestet werden und fehlerhafte Produkte ausgetauscht werden.
Trotz den Angaben und Garantien, die die Hersteller machen, empfehle ich dir jeden neuen Winkel zu überprüfen. Das geht sehr schnell. Wie? Das erfährst du im nachfolgenden.
Wie kannst du einen Schreinerwinkel auf die Genauigkeit überprüfen? Mit der Umschlagsmessung:
- Schritt 1: richte dir ein gut gespitzten Bleistift, ein gerades (!) Brett (eventuell vorher mit der Abrichte bearbeiten) und deinen Winkel
- Schritt 2: lege den Anschlag des Winkels an das gerade Brett und zeichne eine Markierung an den untersten und den obersten Punkt der Metallzunge. Der Strich sollte so fein wie möglich sein.
- Schritt 3: dreh den Winkel um 180° der eigenen Achse und lege den Anschlag wieder an das Brett. Der Anschlag sollte am untersten Punkt anliegen.
- Schritt 4: überprüfe den oberen Strich. Liegt die Zunge exakt auf dem Strich? Wenn ja: toll! Dein Winkel ist genau. Wenn nein: dann solltest du dir einen anderen Winkel besorgen.
Wusstest du schon?
Du kannst einen Winkel auch Zeichnerisch überprüfen. Zeichne an einem Brett 400mm an. An dem Schenkel der später den rechten Winkel darstellen soll zeichnest du 300mm an. Die Hypotenuse oder die Schräge sollte jetzt 500mm betragen. Da wo sich die 300mm und die 500mm treffen, ist ein rechter Winkel. Das lässt sich übrigens beliebig erweitern: 3,4,5 oder 30,40,50 oder 60,80,100. Hier entsteht immer ein rechter Winkel.
Wie schon erwähnt solltest du vor dem Kauf ein Winkel überprüfen. Das reicht aber oft nicht. Je nach Nutzung kann so ein Winkel auch nach Gebrauch beschädigt werden. Aus dem Grund empfehle ich dir den Winkel vor jedem Gebrauch, der hohe Präzision erfordert, zu überprüfen.
Die Modelle
Es gibt verschiedene Modelle mit den unterschiedlichsten Größen. Die Winkel von Sheffielder Manufaktur Crown und ECE produzieren Winkel aus gehärtetem Stahl, Palidanderholz und Messing. Die Längen der Zungen richten sich nach dem Bedarf ab. Stahlzungenlängen von 75mm bis 600mm: die Produktpalette ist sehr breit.
Ein anderes sehr beliebtes Modell sind die Starrett Winkel mit dem verschiebbarem Anschlag. Dadurch lassen sich zum Beispiel Maße entnehmen, die mit einem Metermaß nur schwierig oder sehr ungenau zu ermitteln sind. Einige Modelle kann man komplett aus dem Anschlag nehmen. Dadurch dient die Metallzunge als Lineal. Andere Modelle haben eine eingebaute Wasserwaage. Dieses Modell ersetzt die für Metaller bekannte Schieblehre.
Die Skalierung von guten Schreinerwinkeln sind in der Regel geätzt oder ein-gelasert.
Wusstest du schon?
Eine Gehrung bei zwei gleich großen Bauteilen mit einem rechten Winkel ist die Winkelhalbierende 45°. Wie ist das aber bei zwei unterschiedlichen Bauteilen? Dann gilt folgende Regel:
Auch bekannt als „Falsche Gehrung“.
Die Pflege
Holz arbeitet bekanntlich. Bei hoher Luftfeuchtigkeit dehnt sich Holz aus. Bei geringer Luftfeuchte zieht es sich zusammen. Wenn du beim lagern nicht darauf achtest kann dein Winkel ungenau werden und damit unbrauchbar.
Wusstest du schon?
Früher hatte man Holz als „Dynamit“ genutzt um große Steinfelsen zu sprengen. Erst wurde Holz in der Sonner getrocknet. Dann wurden in den Steinfelsen löcher gebohrt, das Holz eingelassen und befeuchtet. Und: booom der Fels wurde gesprengt.
Holz kann also unheimlich starke Kräfte entfalten. Und das trifft auch bei Schreinerwinkel zu. Ungenauigkeiten wegen Feuchtigkeit können bei schlechter Handhabung auftreten.
Wie kann man das überprüfen?
Einige Hersteller haben die Metallzunge und den Anschlag mit Messingnieten oder sonstige Befestigungen stabilisiert. Wenn dein Winkel zu stark der Feuchte ausgesetzt war, dann dehnt sich das Holz aus. Das erkennt man ganz schnell an den Nieten bzw. dem Beschlag an dem Schreinerwinkel. Liegt die Niete oder der Anschlag etwas tiefer als das Holz, dann ist das Holz anqueschwollen und der Winkel ist unbrauchbar.
Einige Hersteller beugen dem vor und verbauen nur sehr feinporiges Holz (wie in etwa Palisander- oder Buchenholz) und beschichten das Holz mit einem Schutzlack. Trotz diesen Vorkehrungen solltest du unbedingt darauf achten, wie du dein Winkel trocknest.
Die Kennzeichnung
Wie sollte ein rechter Winkel aus einem Plan angezeichnet werden? Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Im deutschen Gebrauch wird hauptsächlich das zeichen ⦝ genutzt. Dieses zeichen gibt an: das ist ein gemessener rechter Winkel. In England wird anstelle eines Kreises ein Quadrat genutzt um den rechten Winkel anzugeben. Das würde dann in etwa so aussehen: ⦜
Wusstest du schon?
Der Mathematiker Pappos der im 4Jhdt. v.u.Z. lebte, nutze dieses ∟ Zeichen um den rechten Winkel anzugeben.
Verwendung
Wir Zimmerer nutzen übrigens die Winkel hauptsächlich beim Abbund von Sparren und Pfetten.
Was bedeutet „Abbund“? tl;dr
Mit dem Begriff „Abbund“ oder „Abbinden“ bezeichnen wir im Zimmererhandwerk das Vorbereiten von Holzkonstruktionen. Dabei werden alle Hölzer vorbereitet, maßgerecht angerissen, bearbeitet, zusammengepasst und gekennzeichnet. Diese verschiedenen Schritte werden mit dem Begriff „Abbund“ zusammengefasst.
Was bedeutet „Sparren“? tl;dr
„Dachsparren“ oder auch einfach „Sparren“ sind Konstruktionshölzer, die die Dachhaut tragen und vom First bis zur Traufe verlaufen. Sparren können je nach Konstruktion unterschiedlich angeordnet werden. Typisch ist jedoch die rechtwinklige Anordnung zum Firstbalken bzw. Schwellenholz.
Dachsparren liegen auf zwei oder mehreren Punkten auf. Je nach Konstruktion und Design kann ein Dachsparren auch einen Kragarm haben.
Fazit
Ich nutze als Zimmermann sehr oft einen Schreinerwinkel obwohl wir eigentlich einen „eigenen“ Winkel haben: den Zimmererwinkel. Das ist aber hauptsächlich für den Abbund größerer Balken geeignet und nicht für kleine filigrane Bauteile. Und selbst auf dem Bau nutzt man den Schreinerwinkel um Balken anzuzeichnen.
Welcher Winkel der richtige für dich und dein Projekt ist, dass muss du vorher gut kalkulieren. Wichtig ist: kauf gleich Qualität, ansonsten kaufst du zweimal und: kontrolliere deinen Winkel regelmäßig.
Der Name des Griechen mit dem rechten Winkel lautet Euklid, nicht Eiklid.
Danke Rudi.
Hallo Samuel,
danke für diesen wertvollen Beitrag und deinen Lesetipp. Ich stimme dir zu, dass es wichtig ist den Winkel vor jedem Gebrauch, der hohe Präzision erfordert, zu überprüfen.
LG Thomas