Wir als Zimmerer nutzen Ausdrücke wie „Abbund“ in unserer täglichen Arbeit. Als ich mit meiner Lehre als Zimmerer angefangen habe, war ich erst einmal erschlagen von dem ganzen Fachjargon.
Es klingt aber oft komplizierter, als es in Wirklichkeit ist. Und mit der Zeit lernt man solche Ausdrücke immer mehr schätzen.
Dieser Artikel soll im Detail klären, was wir als Zimmerer unter dem Begriff verstehen. Aber wem das Ganze zu lang ist, kann auch einfach nur Folgendes lesen:
Was bedeutet „Abbund“? tl;dr
Mit dem Begriff „Abbund“ oder „Abbinden“ bezeichnen wir im Zimmererhandwerk das Vorbereiten von Holzkonstruktionen. Dabei werden alle Hölzer vorbereitet, maßgerecht angerissen, bearbeitet, zusammengepasst und gekennzeichnet. Diese verschiedenen Schritte werden mit dem Begriff „Abbund“ zusammengefasst.
Der Begriff „Abbund“ im Detail erklärt
Wir Zimmerer haben es gern, wenn man so viel wie möglich im Voraus vorbereitet. Ähnlich wie bei LEGO richten wir unsere „Bauklötze“ in der Abbundhalle oder je nach den Umständen auch auf der Baustelle vor.
Dabei wird jedes Bauholz oder Bauelement vorbereitet, maßgerecht angerissen, Millimetergenau zugeschnitten, gekennzeichnet und probeweise zusammengebaut. Die Basis bilden die Abbundpläne.
Beim probeweisen „Zusammenbauen“ wird nicht das ganze Haus aufgebaut. Das ist nicht nur unnötig, sondern wäre auch sehr zeitaufwendig. Es geht vielmehr um Bauteile, die recht komplex sind. Beispielweise Gratsparren. Hierbei muss man sehr exakt arbeiten. Fehler können auf der Baustelle den ganzen Bauprozess stören.
Was bedeutet „Gratsparren“? tl;dr
Der „Gratsparren“ ist ein komplexes Bauteil am Dach, welches an einem Grat platziert wird. Die Dachsparren (Erklärung zu dem Begriff „Sparren“) bilden das Hauptgerüst eines Daches. Je nach Dachform ist eine besondere Art Sparren notwendig. Um beispielsweise ein Walmdach zu bauen und den Grat auszubilden, muss man einen Gratsparren herstellen.
Im erweiterten Sinne gehören andere Arbeitsprozesse wie die Dachausmittlung und Schiftung ebenfalls zum „Abbinden“.
Bevor man eine Konstruktion beginnt, wird ein Aufmaß gemacht. Heute nutzt man dafür digitale Geräte.
Die Vor- und Nachteile
Vorteile
- Das „Aufrichten“ oder Zusammenbauen der Bauteile geht sehr schnell
- Die Konstruktion ist sehr genau. Je nach Zimmerer passen die Bauteile millimetergenau
- Komplexe Konstruktionen lassen sich immer leichter umsetzen. Dank der Computertechnik geht alles sehr viel schneller.
Nachteile
- Je nach Konstruktion ist ein komplexes Fach-Know-how notwendig
- Bei einem Fehler kann der Bauprozess gestört werden oder sogar komplett ins Stocken geraten
- Professionelle Werkzeuge sind notwendig. Beispiele:
- Große Handmaschinen (Handkreissägen mit tiefer Schnitttiefe 50 mm bis 130 mm oder mehr)
- Stationäre Maschinen (Plattensäge, Dickenhobel etc.)
- Zimmerermaschinen (Kervenfräse, Balken-Hobel, Streifennagler, Zimmerei-Kettensäge, etc.)
- Zimmererwerkzeuge (Stecheisen, Japansägen, Klopfholz etc.)
- Große Abbundhalle oder überdachter Abbundplatz ist notwendig, um auch bei schlechtem Wetter arbeiten zu können
- Transportkosten: Die Bauteile müssen von der Werkhalle auf die Baustelle transportiert werden.
Die vier Arten des „Abbindens“
Man unterscheidet beim Abbund nach folgenden vier Arten:
- Traditioneller Abbund
- Zeichnerischer Abbund
- Rechnerischer Abbund
- Computergestützter Abbund
Jede dieser vier Arten habe ich in meiner Ausbildung gelernt und alle werden bis heute von den meisten Zimmerern kombiniert. Der computergestützte Abbund gewinnt durch CNC-gesteuerte Abbundstraßen immer mehr an Bedeutung. Allerdings sollte ein echter Zimmerer alle vier Arten gut beherrschen.
Nachfolgend werde ich jede dieser Abbund-Arten noch detaillierter beschreiben.
Traditionell
Früher hat man die Hölzer 1:1 ausschließlich auf einem Schnürboden aufgezeichnet (auch Aufriss oder Zulage genannt). Dabei werden alle Hölzer direkt auf die Zeichnung bzw. auf den Boden gelegt und alle Winkel, Zapfen oder Abschnitte auf die Hölzer übertragen.
In der Ausbildung als Zimmerer habe ich das noch gelernt. Natürlich nur im verkleinerten Maßstab. Ein Balken hat da beispielsweise nicht 20 cm * 20 cm, sondern nur 6 cm * 6 cm. Diese Übungen zielen darauf ab, die dreidimensionale Vorstellungskraft zu verbessern.
Der Aufriss kann sehr einfach, aber auch extrem komplex werden. Eine Pfette hat vielleicht nur zwei Abschnitte. Ein Gratsparren mit einem Hexenschnitt und einer ungleichen Neigung kann einige zur Verzweiflung bringen.
Alle Hölzer 1:1 auf dem Boden aufzuzeichnen, kann je nach Konstruktion sehr viel Platz erfordern. In der Regel ist diese Abbund-Art nicht mehr wirtschaftlich und wird nur noch sehr selten verwendet.
Allerdings hat diese Abbund-Art auch sehr viele Vorteile. Man kann zum Beispiel krummes, verdrehtes oder auch rundes Holz sehr viel leichter abbinden.
Nach dem Anreißen und dem Ausarbeiten werden die fertigen Bauteile auf den Schnürboden gelegt und probeweise zusammengebaut. Dabei wird vor allem darauf geachtet, dass die Maße übereinstimmen und die Abbundzeichen (Abnummern oder Scharfzeichnen) ordentlich angebracht werden. Das Abnummern wird hauptsächlich beim Aufrichten eines Fachwerkhauses genutzt.
Was wird alles auf die Hölzer angerissen?
Sowohl beim traditionellen Abbund, als auch beim zeichnerischen und rechnerischen Abbund werden folgende Bauteile angerissen.
- Ab- und Einschnitte
- Schrägen und Winkel
- Zapfen
- Zapfenlöcher
- Bohrlöcher
- Sparrenlage
- Die Lage von Achsen
- Die Lage von Wänden
- Die Lage von Pfetten
- Die Lage von Pfosten
- Die Lage von Riegel
- Die Lage von Einbauteilen (zum Beispiel Dachfenster)
Dafür werden folgende Anrisszeichen verwendet:
- Bundzeichen
- Abschnitte
- Mauer- oder Kantenriss
- Mittel- bzw. Achsriss
- Fehlriss
Zeichnerisch
Beim zeichnerischen Abbund wird die komplette Konstruktion im Maßstab aufgezeichnet (meistens 1:10 oder 1:5).
Die Maße werden gemessen, hochgerechnet und auf die Balken übertragen. Für die Übertragung werden Schablonen,
Maßbänder, Winkel und Schmiegen verwendet. Siehe dazu die Überschrift „Was wird alles auf die Hölzer angerissen?“.
Zur Kontrolle werden auch hier die Bauteile zusammengelegt und mit der Zeichnung auf Korrektheit abgeglichen. Fehler können beispielsweise schnell entdeckt werden, indem man die Gesamtlänge und -höhe oder die Sparreneinteilung überprüft.
Diese Variante wird vor allem von Kleinbetrieben genutzt, um einfache Bauten zu konstruieren (Gauben oder Satteldächer).
Je nach Maßstab ist diese Abbund-Art jedoch nicht sehr genau. In der Regel wird deshalb diese Art mit der folgenden Abbund-Art kombiniert, um eine höhere Präzision zu gewährleisten.
Rechnerisch
Der rechnerische Abbund gehört zur „Königsdisziplin“ im Abbund. Alles, was man zeichnen kann, muss man auch irgendwie berechnen können. Erst wenn man die ersten beiden Abbund-Arten gut beherrscht, kann man diese Art vollständig verstehen.
Wichtige Elemente sind hierfür der Satz des Pythagoras und die Winkelfunktionen.
Der Satz des Pythagoras:
Eine interessante Erklärung zum Satz des Pythagoras:
Die Winkelfunktionen:
Und hier eine Erklärung zu den Winkelfunktionen:
Man kann sogar den Winkel und die Schnitttiefe berechnen. Das würde man zum Beispiel bei einem Grat- oder Kehlsparren einsetzen.
Die Kombination aus rechnerischem und zeichnerischem Abbund wird am häufigsten verwendet.
Computergestützt
Die komplette Berechnung und Einteilung wird von einem Abbundprogramm (CAD/CAM Programm) ermittelt.
Die ermittelten Maße werden dann direkt auf die Balken übertragen. Für die Übertragung werden Schablonen, Maßbänder, Winkel und Schmiegen verwendet. Siehe dazu die Überschrift „Was wird alles auf die Hölzer angerissen?“.
Die berechneten Daten können an eine CNC-Maschine weitergeleitet werden. Moderne CNC-Maschinen ersetzen immer mehr das traditionelle Ausarbeiten.
Diese sogenannten Abbund-Zentren oder Abbundstraßen bieten verschiedene Komplettpakete an. Sowohl für Zimmereien, als auch für Privatabnehmer. Dabei werden alle Arbeitsschritte von dem Unternehmen durchgeführt und „Baufertig“ an die Baustelle geliefert. Dann muss man diese Bauteile „nur“ noch zusammenbauen.
Geliefert werden in der Regel folgende Dinge:
- Baustellenpläne (oft mit einem wasserfesten Papier und Druck)
- Folienverpackung bei sichtbaren Bauteilen
- Montagematerial für alle weiteren Bauteile wie Konterlatten, Dachlatten, Unterspannbahn, Verbindungsmittel etc.
- Stahlbauteile (Stützen, Träger, Windrispenband, Balkenschuhe etc.)
Viele Zimmereien geben solche Aufträge direkt weiter, weil sich der Abbund für komplexe Bauten immer weniger lohnt. Es kann zum Beispiel ein Walmdach mit komplexen Schwalbenschwanzverbindungen an einem Gratsparren sein oder ein einfacher Carport für einen Privatabnehmer. Möglich ist fast alles.
Fazit
Der Abbund gehört zur Haupttätigkeit eines Zimmerers. Für mich persönlich sind diese Arbeitsschritte die schönsten und aufregendsten Arbeiten im Zimmererhandwerk.
In diesem Beitrag hast du jetzt die vier Arten des Abbunds kennengelernt und siehst die Vor- und Nachteile auf einen Blick. Ich hoffe, diese kurze und knackige Erklärung hilft dir bei deinen Projekten.
Hallo Samuel,
danke fuer den Artikel. Koenntest du bitte mir eventuell helfen mir literatur ueber Tradiotionelle Abbund mit Anreissboden, usw … ?
Vielen Dank
Hi Nemanja,
da gibt es einige. Zum Beispiel hier oder hier. 🙂